Das Nasen-Nebenhöhlen-Organ und seine neuraltherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten

Von Dr. J. D. Hahn-Godeffroy

Jede Rhinitis, sei es der einfache Schnupfen, sei es die Rhinitis vasomotorica, die Rhinitis allergica usw. usw., alle sind nicht denkbar ohne eine Beteiligung der Nebenhöhlen der Nase, mehr oder weniger aller Nebenhöhlen, also eine sog. Pansinusitis. Das Pneumatisationsorgan muss immer als einheitlicher Apparat verstanden werden.

Wie mir meine nasenohrenärtzlichen Kollegen erzählen, hat der Charakter von Entzündungen bzw. Irritationen der Nasennebenhöhlen sich in den letzten Jahrzehnten verändert: schwere eitrige Nebenhöhlenentzündungen, etwa der Kieferhöhle, die nur operativ saniert werden konnten, sind selten geworden, auf das Dreifache zugenommen haben in der täglichen HNO-Praxis die nichteitrigen, chronischen Sinusitiden. Ihnen ist bislang, was die Langzeitergebnisse angelangt, mit chirurgischer Intervention, mit Antibiotika, Sekretolytika, mit Antihistaminika und Cortison nur unbefriedigend beizukommen.

Es ist vor allem die Terrainsanierung, die Wiederherstellung physiologischer Schleimhaut-verhältnisse, die mit den genannten Maßnahmen nicht befriedigend erreicht werden kann.

Befasst man sich mit der Schleimhautphysiologie, mit der Gefäß- und Schwellkörper-Physiologie des Nasen-Nebenhöhlen-Organs, in ihren komplizierten Einzelheiten nachzulesen in den großen Hand- und Lehrbüchern der HNO-Heilkunde (1,2), so wird deutlich, wie außerordentlich fein gestrickt sich die Natur hier ihr Immunorgan, ihr Eintrittsorgan für die Atemwege und für das Gastrointestinum ausgedacht hat.

Zum Thema „Schwellkörper“: bis zur Vorbereitung auf diesen Vortrag wusste ich nicht, dass es tatsächlich Schwellkörper an den Nasenmuscheln gibt, heute nennt man sie nur nicht mehr so, aber so sind sie noch im Lehrbuch der Hals-, Nasen- und Ohrenerkrankungen von Wessely, Wien 1942, benannt mit der Bemerkung: „die Volumen-schwankungen erfolgen physiologischerweise unter verschiedenen somatischen Reizen, wie Wärme, Kälte, Verdauung, menstruellem Zyklus, Schreck, usw.“(3).

Der Phosphodiesterasebesatz am arteriellen System der Muschelschwellkörper scheint dem der Genitalschwellkörper ähnlich, dementsprechend wirkt Viagra auch an der Nase, nämlich mit seiner hauptsächlichen Nebenwirkung, einer „verstopften Nase“ (4).

Zurück zur Schleimhaut allgemein: was benötigt dieses komplizierte Schleimhautsystem für sein Wohlbefinden, für seine Funktionskraft? Es benötigt eine gute Durchblutung, eine optimale arterielle Versorgung und einen optimalen Lymph-abfluss.

Nun, das Nasen-Nebenhöhlen-Organ zählt zu den autonom gesteuerten Organen, ebenso wie Herz, Lunge, Darm und Urogenitalsystem. Es ist, wie alle diese Organe, gleichsam aufgehängt in eine Balance zwischen Sympathikuseinfluss – und wehe dem, der das stört.

Das Nasen-Nebenhöhlen-Organ, dessen wichtigste Aufgabe im Funktionieren seiner Schleimhäute und deren Sekretionstätigkeit besteht, ist deshalb vor allem parasympathisch versorgt. Hier hat der Parasympathikus eine sehr niedrige Reizschwelle, im Gegensatz zum Sympathikus, der hier nur mit hoher Reizschwelle wirksam werden kann.

Eine unangemessene Sympathikotonie, d.h. ein unangemessenes Überwiegen des Sympathikus-einflusses, führt zu folgendem:

1. zu trophischen und funktionellen Verän-derungen an den Schleimhäuten, bewirkt in erster Linie über den Impulsweg, welcher über die mit dem peripheren Nerv ziehenden Sympathikusfasern läuft;
2. zu einer Engstellung der versorgenden Arterien und Arteriolen und damit zu einer Mangeldurchblutung mit entsprechender Mangelversorgung des Gewebes und unzu-reichender Schlackenentsorgung.

Im Folgenden konzentrieren wir uns etwas auf den zweiten, den perivasculär verlaufenden Impulsweg des Sympathikus. Einer anhaltenden Sympathiko-tonie mit entsprechender Perfusionsstörung der Schleimhaut ist diese nicht gewachsen, sie erkrankt.

Maßnahmen zur Wiederherstellung physiologischer Schleimhautverhältnisse müssen sich also in erster Linie auf alles richten, was den Sympathikus zu zügeln in der Lage ist. Am wichtigsten ist die Wiederherstellung einer ausreichenden Gewebe-perfusion, einer ausreichenden Schleimhautdurch-blutung. Dazu geeignet ist in allererster Linie eine Drosselung der sympathischen Efferenzen über eine Einflussnahme auf die sympathische Ver-sorgung unseres Organs.

Ein Teil der sympathischen Fasern läuft, von den Grenzstrang-Ganglien kommen, mit den periphe-ren Nerven. Der andere Teil läuft mit den Gefäßen, d.h. über die A. carotis externa und die A. maxillaris. Die sympathischen Fasern von den großen Kopfganglien, besonders Gln. stellatum und Gln. supremum, verlaufen über den Plexus caroticus und von diesem mit dem N. petrosos profundus durch das Gln. pterygopalatinum hindurch bis in die Rami nasales und von dort zur Schleimhaut, in deren Bindegewebe sie sich zu einem terminalen Netzwerk ausbreiten und sich unter anderem auch mit den retikuloendothelialen Zellen verbinden.

Die mit den Gefäßen laufenden sympathischen Fasern verzweigen sich mit diesen bis hinein zu den feinsten Arteriolen und Kapillaren enden, ebenso wie diese, im Terminalretikulum, im Intestitium.

An welchen Stellen der sympathischen Versorgung ist uns eine Einwirkung durch Applikation des Sympathikolytikums Procain möglich?

1. Umflutung des Gln. stellatum
2. Umflutung des Gln. supremum
3. Umflutung aller Äste de N. maxillaris und, wenn wir jetzt einmal besonders an die Leitschiene Gefäße denken:
4. Umflutung der A. carotis externa
5. Umflutung der Fossa pterygopalatina bzw. des gefäß- und nervenführenden Canalis pterygopalatinus (in welchem die A. pterygopalatina abzweigt; Keilbeinhöhle)
6. Umflutung der Foramen front. lat. (erreicht d. hint. Siebbeinzellen via A. ethmoid. Post. Sowie die Stirnhöhle via A. front. lat.)
7. Umflutung d. Foramen front. Med. (erreicht die vorderen Siebbeinzellen via A. ethmoid. Ant. Sowie die Stirnhöhle via A. front. Med.)
8. Umflutung d. Ramus nasalis a. ethmoidalis (verläuft seitl. A. oberen Nasenrücken; Siebbeinzellen, Riechrinne)
9. Umflutung d. Foramen infraorbitale (erreicht d. Kieferhöhle via A. infraorbitalis)

Diese Injektionen also stehen dem erfahrenen Neuraltherapeuten zur Verfügung, in den meisten Fällen dem HNO-Arzt nicht, da sein Fachgebiet eine Ausbildung in diesen Techniken nicht vorgesehen hat.

Zweitens denkbar ist eine Störung in der autonomen nervalen Versorgung des Nasen-Nebenhöhlen-Organs durch eine unzureichende parasympathische Funktionsleistung, eine Dys-balance des Parasympathikus.

Und an welchen Stellen der parasympathischen Versorgung kann ich durch Applikationen von Procain, dessen impulsunterbrechende Eigen-schaften ebenfalls am Parasympathikus wirksam sind, eingreifen?

Die parasympathische Bahn kommt aus dem N. intermedius, der den N. facialis am Gln. geniculi verlässt, und zieht als N. petrosus superf. Maj. Zum Gln. pterygopalatinum, wird hier umge-schaltet und verteilt sich dann auf die Nn. nasales, orbitales und palatini, um in der Tunica propria um Gefäße und Drüsen ein Synzytium ohne freie Endungen zu bilden (5).

Während ich also eine Impulsunterbrechung sympathischer Fasern an vielen Stellen erreichen kann, ist eine Impulsunterbrechung bzw. Impuls-modulation der parasympathischen Versorgung unseres Organs anatomisch nur erreichbar am Gln. pterygopalatinum. Allerdings legen neueste Unter-suchungen von H. Barop (5a), fußend auf Forschungsergebnissen von M. Clara und Monnier, nahe, dass es auch am Gefäßsystem einen Antagonismus zwischen Sympathikus und Parasympathikus gibt. Dann würden wir mit der Procainumflutung der Gefäße, wie oben beschrie-ben, neben dem Sympathikus auch Einfluss auf den Parasympathikus nehmen können.

Drittens denkbar ist eine Störung in der auto-nomen nervalen Versorgung des Nasen-Neben-höhlen-Organs durch Ferneinflüsse, seien sie über sympathische Afferenzen, seien sie über para-sympathische Afferenzen herbeigeleitet. Solche Ferneinflüsse, in aller Regel über sympathische Afferenzen, nennen wir Störfelder. Diese Ströfelder können, obwohl fern für die Schleimhäute unseres Organs, in der Nähe liegen, z.B. Zahnstörfelder, Tonsillen- bzw. Tonsillektomie-Störfelder, Narben im Kopfbereich etc. etc. – oder aber wirklich ganz fern: Störfelder im Urogenitalsystem oder im Darm (6, 7, 8).

Diese Störfelder und ihren Einfluss auf die Schleimhäute bzw. deren autonome Steuerung können wir versuchen, in ihrer Störwirkung zu „löschen“, indem wir durch lokale Procain-umflutung der vom Störorgan ausgehenden sympathischen und parasympathischen Afferenzen der Störimpulse unterbrechen, u. U. wiederholt, bis es zu einer „Ausheilung“ des pathologischen Sympathikus-Reizzustandes am Störorgan kommt.

Es sind, jedenfalls aus puristisch neuralthera-peutischer Sicht, also nur diese drei Wege der Einflussnahme auf die autonome Versorgung des Nasen-Nebenhöhlen-Organs möglich:

1. über die sympathische Versorgung
2. über die parasympathische Versor-gung
3. über eine Störfeld-Auslöschung.

Das hört sich so simpel an. Aber: in der Praxis macht es schon häufig Kopfzerbrechen, mit welchen Injektionen in erster Linie zu beginnen sei, ob mir überhaupt technisch Stellatumblockade, Coeliacumblockade, Pterygopalatinum-Blockade etc. zur Verfügung stehen; wo das Störfeld liegt; wie viele Störfelder vorhanden sind – meist mehrere – und wie ihre Interaktion untereinander ist; warum die Störfeldbehandlung unzureichend fruchtet; wo die Regulationsblockaden liegen; wie und ob überhaupt und wieweit sie zu lösen sind.

Da gilt es, dem an Etagenmedizin gewähnten Patienten (9) verständlich zu machen, warum wir etwa auf der Etage Unterbauch seine Störung in der Etage Kopf behandeln wollen; da gilt es, ihn lange genug bei der Stange zu halten, einmal wöchentlich reicht, das aber u. U. über Monate. Jochen Gleditsch schreibt in seinem neuesten Buch zur Sinusitisbehandlung: „Akupunktur nicht zu früh aufgeben! Ihre stabilisierende Wirkung tritt oft erst nach längerer Behandlung ein“ (10). Gleiches gilt für die Neuraltherapie nach Huneke.

Noch ein Wort zur sog. Zwischenanamnese: die oft wegweisende Befragung, was denn in den 36 Stunden unmittelbar nach der letzten Behandlung verspürt worden sei, kann nicht präzise genug sein. Oft sagt der Patient, es sei nicht besser geworden, aber die präzise Befragung ergibt dann: die Auskunft war falsch. Es ist wie mit drei unterschiedlich lauten Radios: stellt man das lauteste aus, stellt sich zunächst große Erleichterung ein, bis dann bald das zweitlauteste Radio so sehr stört, dass man das noch lautere bereits vergessen hat.

Auf eine Fülle weiterer regulationsmedizinischer Maßnahmen außerhalb der Neuraltherapie nach Huneke zur Stabilisierung des Nasen-Nebenhöhlen-Organs, besonders etwa die Sanierung des Darmmilieus, kann ich hier nicht eingehen. Eine einzige Anregung vielleicht, denn die ist vermutlich manchem neu: wunderbar ist die tägliche Pflege der Schleimhäute des Nasen-Nebenhöhlen-Organs mit der Nasendusche, erhältlich in jeder Apotheke.

Ebenso wenig kann ich hier näher eingehen auf die Frage, warum als Neuraltherapeutikum nur Procain indiziert ist (11, 12) und warum die Amid-strukturierten, besonders die Langwirksamen wie Mepivacain oder Bupivacain, aber auch Lidocain kontraindiziert sind. Und warum 8 – 10 Tage vor allen tieferen Injektionen Acetylsalicylsäure (ASS) zwingend abgesetzt werden muss (13, 14).

Zum Schluss noch ein Bonbon: Sie wissen, dass uns die oft technikzentrierten Gynäkologen, Urologen und Gastroenterologen zumeist einen Vogel zeigen würden, wenn wir auf die Verbindung des Nasen-Nebenhöhlen-Organs mit ihrem Fachgebiet zu sprechen kommen (15, 16, 17). Der Berühmte Altmeister der Frauenheilkunde, Walter Stoeckel, Ordinarius an der Universi-tätsfrauenklinik Berlin wusste es besser, er schrieb in seinem Lehrbuch der Gynäkologie, Berlin 1942: „sehr merkwürdig und für die Mitwirkung des sympathischen Nervensystems beweisend sind die Erfolge der nasalen Dysmenorrhoebehand-lung. Man findet bei Dymensorrhoe oft eine Schleimhautschwellung auf der unteren Nasen-muschel und engumschriebene hyperämische Zonen (Genitalpunkte) während der Menstruation. Durch Kokainisierung dieser Stellen (hier könnten wir heute auch sagen: Procain-Einwirkung) lassen sich die Schmerzen im Anfall schlagartig beseitigen, in solchen Fällen kann man die Dysmenorrhoe als nasale Reflexneurose auffassen“. Stoeckel geht ferner auf die von ihm so benannten „Reflexbeziehungen zwischen Nase und Harntraktus“ ein. Und über den Fluor vaginalis schreibt er, dieser müsse nicht das Symptom einer lokalen Erkrankung der Scheide oder des Uterus sein, sondern könne die Folge allgemeiner Störungen sein, dabei berichtet er von dem häufigen Vorkommen von Fluor vergesellschaftet mit einer Rhinitis vasomotorica – für Stoeckel ein Beleg für die Wechselbeziehungen zwischen Nase und Genitaltraktus.

Literatur

(1) Nase, Nasennebenhöhlen, Gesicht, Mundhöhle und Pharynx, Kopfspeicheldrüsen, hrsg. v. Ernst Kastenbauer (= Oto-Rhino-Laryngologie in Klinik und Praxis, Band 2) Georg Thieme, Stuttgart-New York 1992)
(2) Handbuch der HNO-Heilkunde. Springer, Berlin-Heidelberg 1966
(3) Wessely, E.: Hals-, Nasen- und Ohrenerkrankungen. Urban & Schwarzenberg, Wien-Berlin 1942
(4) Cervin, A., Lindgren, S.: The effect of selctive phosphodiesterase inhibitors on mucociliary activity in the upper and lower airways in vitro. Auris Nasis Larynx, 25, 269-276 (1998).
(5) Clara, Max: Das Nervensystem des Menschen. 3. Auf. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1959
(5a) Barop, Hans: persönl. Mitteilung, 2001
(6) Barop, Hans: Lehrbuch und Atlas Neuraltherapie nach Huneke, Hippokrates, Stuttgart 1996
(7) Hahn-Godeffroy, Joh. Diederich: Die Injektion an das Ganglion stellatum. In: Dosch, P.: Neuraltherapie nach Huneke. Freudenstädter Vorträge, Band 12, S. 73-92, Heidelberg 1988
(8) Wander, Rainer: Neuraltherapie. In: Friese, K.H. (Hrsg.): Handbuch der Heuschnupfentherapie – Konventionelle Therapie – Bewährte Naturheilverfahren. S. 190 – 198, Sonntag, Stuttgart 2000
(9) HNO-Praxis heute, hrsg. V. H. Ganz und H. Iro, Band 19. Springer, Berlin-Heidelberg-New York 1999
(10) Gleditsch, Jochen: Akupunktur in der HNO-Heilkunde. 2. Aufl. Hippokrates, Stuttgart 1999
(11) Hahn-Godeffroy, Joh. Diederich: Zur Unverzichtbarkeit von Procain in der Neuraltherapie – Neue Aspekte zur Benefit-risk-Abwägung. Ärztezeitschrift f. Naturheilverf. 32, 722 – 730 (1991)
(12) Hahn-Godeffroy, Joh. Diederich: Procain in der Neuraltherapie nach Huneke – Literaturüberblick und zusammenfassende Bewertung. Der Allgemeinarzt 15, 876 – 883 (1993)
(13) Tryba, M. et al.: Hämostaseologische Voraussetzungen zur Durchführung von Regionalanaesthesien. Regional-Anästhesie 12, 127 – 131 (1989)
(14) Schmidt, A.: Regionale Anästhesietechniken und Störungen der Hämostase, Anästhesist 42, 483 – 495 (1993)
(15) Fliess, W.: Neue Beiträge zur Klinik und Therapie der nasalen Reflexneurose. Wien 1983
(16) Fliess, W.: Nasale Fernleiden, 3. Aufl. Leipzig-Wien 1926
(17) Koblanck, N.: Die Nase als Reflexorgan des autonomen Nervensystems. Urban & Schwarzenberg, Berlin-Wien 1930
(18) Stoeckel, Walter: Lehrbuch der Gynäkologie. 10. Aufl. S. Hirzel, Leipzig 1943